Der Stuttgarter Verlag Blue Ocean scheint es zu wissen.

Die Büros der Stuttgarter Blue Ocean Entertainment AG gleichen einem Haus voller Kinderzimmer: Im Flur hängt ein Plakat für »Shaun das Schaf«, daneben begrüßen den Besucher eine überlebensgroße Playmobil-Figur, ein Käpt’n Sharky und die Maus aus der gleichnamigen Fernsehsendung. In den Regalen und auf den Schreibtischen sind die neuesten Spielwelten von Lego und Schleich aufgebaut. Mitarbeiterinnen haben ihre Arbeitsplätze mit pinkfarbenen Bastelbögen dekoriert. Im Zimmer der Extraabteilung testen zwei Herren jenseits der 30 gerade ausgelassen ein Pfeil-und-Bogen-Set – natürlich mit Saugnapf an der Spitze – und widmen sich dann einer Lieferung Furzkissen … Keine Frage: Blue Ocean weiß, was die jüngsten Leser wollen.

teaser_blue_oceanUnd der Erfolg gibt den Stuttgartern recht: Der Verlag, der auf der Landkarte der Kinderlektüre vor zehn Jahren nicht existent war, gibt mittlerweile einen nicht unerheblichen Teil der Kinderzeitschriften in Deutschland heraus. Unter den 53 IVW-geprüften Titeln ist Blue Ocean im Einzelverkauf mit stattlichen 23 Zeitschriften vertreten – und damit mit mehr Titeln als die einstigen Platzhirsche Ehapa und Panini zusammen. Bei den Abonnements schneiden die Line Extensions der Großverlage wie »GEOlino«, »GEOmini« und »Dein SPIEGEL« zwar besser ab, auch weil diese Ableger vielfach von Eltern, die das Erwachsenenheft lesen, für ihre Kinder abonniert werden. Am Kiosk sind die Produkte von Blue Ocean unschlagbar die Nummer eins im Verkauf pro Ausgabe. Blue Ocean bringt Magazine wie »Lego Ninjago« (Einzelverkauf laut IVW im 3. Quartal stolze 127.117 Hefte) »Lego Chima« (88.941) und das Playmobil-Magazin (61.576) heraus. Außerdem gehören zum Portfolio die Zeitschriftenversionen von Buchreihen wie »Prinzessin Lillifee« (73.430), »Die drei ??? Kids« (35.974) und »Was ist Was« (35.618) sowie die Printlizenzen von Kindersendungen wie »Löwenzahn« (29.887) und der »Sendung mit der Maus« (»Frag doch mal die Maus«, 38.768 Exemplare).

Rasante Entwicklung

Der Chefredakteur der Boys- und Wissensmagazine dieses Großaufgebots an Titeln, Simon Peter, staunt selbst über die rasante Entwicklung des Verlags. Lässig in Jeans und T-Shirt gekleidet, steht er am Fenster des Konferenzraums in der Stuttgarter Breitscheidstraße und deutet hinüber auf die andere Straßenseite, wo sein Team im kommenden Jahr neue, größere Büros beziehen wird. »Die Geschwindigkeit des Wachstums ist atemberaubend: 2008 hatte der Verlag gerade mal acht Mitarbeiter. Ich kam 2009 als Nummer 25 hinzu. Heute sind wir 99 Mitarbeiter.« Gegenüber wird für deutlich mehr als 100 Mit­arbeiter Platz sein. Hinter dem Erfolg von Blue Ocean Entertainment steht außer dem Kreativchef Peter die Mitgründerin des Unternehmens, Sigrun Kaiser. Die Schwäbin – gelernte Kinderpädagogin und Betriebswirtschaftlerin – hatte in verantwortlicher Funktion bei Kindermedienverlagen gearbeitet, als sie sich 2005 gemeinsam mit dem Verleger Christian Neuber selbstständig machte. »Der Verleger des Coppenrath Verlags, Wolfgang Hölker, war daran interessiert, eine Zeitschriftenlizenz seines Erfolgsbuchs ›Prinzessin Lillifee‹ zu vergeben, und unsere Entwürfe überzeugten ihn.« In enger Abstimmung mit der Erfinderin der Feenprinzessin, Monika Finsterbusch, denken sich die Stuttgarter Zeitschriftenmacher seither Monat für Monat neue Abenteuer für Lillifee aus.

Sigrun Kaiser weiß, dass Pädagogen mit der Prinzessin hadern, angeblich weil sie Mädchen die Rolle der Prinzessin als Ideal vorführe und sie sogar farblich konditioniere, nämlich auf eine Vorliebe für Rosa. Die Mutter von zwei Töchtern ist jedoch überzeugt, dass die meisten drei- bis sechsjährigen Mädchen solche »Mädchen-Mädchen« seien, gleich, wie man sie erziehe: »Sie mögen Pink und Rosa.« Jungs hingegen stehen auf Detektive und Action. Außerdem gehe es in den Lillifee-Heften nur vordergründig um das privilegierte Dasein als Prinzesschen. In Wahrheit erzählten sie Geschichten von Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Darüber hinaus ermunterten Anleitungen die Kinder zum Malen und Basteln. Auch die Jungs-Hefte leben von dieser Mischung aus Schmökern und dem Entdecken der eigenen Persönlichkeit und der eigenen Fähigkeiten. Die »Lego Star Wars«-Hefte erzählen neue Abenteuer der legendären Science-Fiction-Figuren von Lucas, die Leser sollen aber auch einen Code knacken und in einem Fragebogen-Test herausfinden, wer sie sind: Jedi oder Sith?

Erfolgsfaktor Gimmicks

Von unschätzbarem Wert für den Erfolg von Kinderzeitschriften sind die Gimmicks, die originellen Zugaben zum Heft. Hier kennt der Erfindungsgeist der Stuttgarter keine Grenzen: Da gibt es das Glitzermikrofon der Prinzessin Lillifee, die süße Lillifee-Weihnachtsbastelbox, die Halloween-Hand, die im Dunkeln leuchtet, die springende Spaßspinne, das Geheimstift-Set für Detektive mit »unsichtbarer Tinte« und den Lego-Star-Wars-Destroyer zum Selberbauen – alle exklusiv für Blue Ocean gefertigt. Die Gimmicks spielen auch in den Geschichten eine Rolle. So ist der Geheimstift im »Drei-???«-Comic das Instrument, mit dem die De­tektive Justus, Peter und Bob einen Dieb überführen. Die Extras werden in China nach den Vorgaben der Lizenzgeber und unter Einhaltung aller Vorgaben für Spielzeugsicherheit produziert. Lego und Playmobil stellen für Blue Ocean exklusive Spielzeuge in eigenen Fabriken zum Beilegen her. Sieben bis acht Monate beträgt der Vorlauf, aber die Planungen beginnen schon zwei Jahre vorher, wenn die Spielwarenhersteller wissen, was sie vorhaben und dem Team von Blue Ocean Vorschläge für Gimmicks machen. Gerade die Lego-Bausteine verlangen den Stuttgartern einiges an Mehrarbeit ab. »Wir bekommen das Tütchen nicht fertig verpackt, sondern kriegen die Einzelbausteine säckeweise zugeschickt. In einem stecken nur Köpfe, in dem anderen nur Beine«, sagt Kaiser. Bis zu 42 Einzelteile kann ein Set umfassen, Bau­steine, die in Deutschland oder in Osteuropa in Heimarbeit verpackt werden. 500.000 bis 700.000 Tüten werden pro Ausgabe bestückt – und das aufgrund der vielen Ausgaben jede Woche.

Sigrun Kaiser hält die witzigen Kaufanreize für essenziell. »Wer am Zeitschriftenregal siegen möchte, muss das über den Einstiegspreis des Extras tun«, sagt sie. Doch der Aufwand lohnt sich. Kinder lieben die Zeitschriften von Blue Ocean. Das spiegelt sich auch auf der kaufmännischen Seite wider: Der Umsatz wächst seit Jahren im Schnitt zwischen 15 und 20 Prozent und wird 2016 die 50-Millionen-Euro-Grenze knacken. Das sind stolze Wachstumsraten, bei denen sich mancher Verleger fragen dürfte, warum er noch Produkte für Erwachsene herausgibt.

Zeitschriften zum Mitmachen

Doch ein Erfolg wie der von Blue Ocean ist nur schwer nachzuahmen, wenn das Fingerspitzengefühl für die Leser und die Materie fehlt. Simon Peter hat es. Er leitete die 2009 eingestellte Jugendzeitschrift »Yam!« von Axel Springer, bevor er zu Blue Ocean stieß. Dort erwartete ihn ein komplexe Aufgabe: »Wir haben eine Verantwortung gegenüber Lizenzgebern und Urhebern, die ein Interesse daran haben, dass wir mit ihrer Grundidee gut umgehen. Die Geschichten, die wir uns ausdenken, müssen im Einklang mit den Charakterbeschreibungen stehen, die der Urheber für seine Figuren vorgegeben hat. Wir müssen die Eltern durch unsere Inhalte davon überzeugen, dass sie diesen Medienkonsum mittragen oder fördern oder ihn zumindest nicht untersagen. Und vor allem müssen wir für die Kinder spannende Hefte machen.« Zum Lohn gehört die Befriedigung, auf unterhaltende Art die Lesekompetenz der Kleinen zu fördern. »Wir bringen die Kinder dazu, selbst kreativ zu sein – und sich nicht nur berieseln zu lassen.«

Burda ist beteiligt

Geld scheint für die Lizenzgeber bei der Auswahl des Verlagspartners meist nur ein nachgelagertes Thema zu sein. Sie geben in der Regel nicht dem Anbieter den Zuschlag, der die höchste Garantiezahlung verspricht, sondern dem, der am besten ihre Marke pflegt und mit seiner Umsetzung am meisten überzeugt. Gute Leistung spricht sich dann schnell herum – im Fall von Blue Ocean auch in Hollywood. Seit letztem Jahr geben die Stuttgarter mit dem Filmstudio Fox das weltweit einzige »Ice Age«-Magazin mit selbst kreiertem Comic heraus; mit Steven Spielbergs DreamWorks machen sie die Zeitschrift »Dragons« und mit Disney und Lego das »Lego Star Wars«-Magazin. Der Erfolg von Blue Ocean überzeugte vor knapp zwei Jahren auch den Burda-Verlag davon, sich mit 50,1 Prozent bei den Stuttgartern zu engagieren. Über das internationale Vertriebsnetz von Burda Media bringt Blue Ocean das nächste »Ice Age«-Magazin auch in Frankreich, Polen, Spanien und Portugal heraus. Neben der Internationalisierung sieht Kaiser Wachstumschancen in Geschäftsfeldern wie Sammelbildserien.

Sind die kleinen Leser also die große Hoffnung der Zeitschriftenverlage? Fest steht: Kinder lieben Print. Das bestätigte 2014 eine Studie des Egmont-Verlags. Demnach schmökern 77 Prozent (4,5 Millionen) der Sechs- bis Dreizehnjährigen in ihrer Freizeit mindestens einmal wöchentlich in einem Buch, und mit 74 Prozent (4,3 Millionen) greifen fast genauso viele zu Zeitschriften. Und die Eltern lassen sich gern von den Kleinen anstecken. Simon Peter jedenfalls fiel auf: »Wenn ich sehe, wie die Kinder samstags vor dem Zeitschriftenregal sitzen und die Mami bei der Gelegenheit noch eine ›InStyle‹ einpackt, dann tun wir auch für die Branche insgesamt etwas.«

von Holger Christmann, Freier Journalist und Zeitschriftenentwickler