Pressevertrieb: wie die VDZ-Verantwortlichen für Einigkeit sorgen wollen – Grosso-Reform auf Prüfstand.

Von Roland Pimpl

Bei allem Ringen um die richtigen Wege beim Vertrieb digitaler Presse sollte man zweierlei nicht vergessen: Erstens spielt die gute alte gedruckte Presse immer noch ein Vielfaches davon ein. So geben die Deutschen laut Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) Monat für Monat 264 Millionen Euro allein für Magazine aus. Doch die Kurve zeigt nach unten. So erwarten die Zeitschriftenverlage in diesem Jahr beim Vertriebsumsatz ein Minus von zwei Prozent. Auch dies ist ein Grund dafür, dass sie, zweitens, auch beim Printvertrieb mehr denn je um die richtigen Wege ringen.

Der Dauerzoff mit Bauer ums Grosso-System, der Kampf um knappe Regalmeter vor allem zwischen großen und kleinen Verlagen, das Feilschen mit den mächtigen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) um Sortimente und Konditionen – die Liste mit Streitthemen wird länger. Die verlagsseitig entscheidenden Köpfe, die Liste abzuarbeiten, sind Henning Ecker, geschäftsführender Gesellschafter der Burda- und Funke-Vertriebsfirma MZV, und Nils Oberschelp, Chef der G+J-Vertriebstochter DPV. Beide fungieren seit Jahresanfang als Sprecher des VDZ-Arbeitskreises Pressemarkt Vertrieb (PMV), als Nachfolger von Torsten Brandt. Der Vertriebschef von Axel Springer hatte den Verlag im Dezember verlassen und daher auch das PMV-Amt aufgegeben, das er seit 2009 inne hatte.

Nun also Ecker und Oberschelp. Beide mögen in ihren Hauptjobs auch den unkomplizierten Umgang wagen – unterm Verbandshut sprechen sie als vorsichtiges Diplomatenduo, das Zitatprozedere ist hochkomplex, jedes Komma will im Verband und mit anderen »Marktmitgestaltern« abgestimmt sein, nach innen und außen, oben und unten, hin und her. Vielleicht verständlich, denn das Grundproblem – Pardon: die Herausforderung – ist gewaltig.

Die Zahl der Titel steigt seit Jahren, die Einzelauagen sinken: Es wird enger im Regal, die Kritik größerer Verlage und des Einzelhandels tönt lauter. Das Grosso habe die knappen Regalflächen »im Sinne einer absatzfördernden Mischung aus Schnelldrehern und Ergänzungstiteln zuletzt nicht immer optimal bewirtschaftet«, hatte Vorgänger Brandt im vergangenen Frühjahr geurteilt. Daher hat das Grosso mit Wissen und Zustimmung des VDZ strengere verkaufsorientierte (Aus-)Listungskriterien eingeführt.

Die Nachfolger vermeiden solche klare Kritik und fordern nur allgemein ein zielgenaueres regionales und saisonales Verteilmanagement, um die Verkäufe zu steigern. »Bei der bloßen Anwendung von Sortimentsoptimierungsregeln können wir nicht stehen bleiben«, sagt Ecker. »Das Grosso mit seiner lokalen Marktkenntnis kann mit zukunftsgerichteten Ideen gegenüber dem Handel sein Profil als Category Captain schärfen.« Hier müsse man, ergänzt Oberschelp, auch »die verkaufsschädliche Frühremission besser in den Griff bekommen«, mit der viele Einzelhändler ihre Regale möglichst rasch für neue Lieferungen am liebsten schnell drehender Titel frei räumen. Eine VDZ-Konzession an die kleineren Verlage, die sich durch die Reform benachteiligt sahen.

Die Reform habe im großen LEH »für eine Entlastung der Regale und verbesserte Umsätze gesorgt«, resümiert Ecker. Bei kleineren Verkaufsstellen seien die Resultate indes »noch nicht zufriedenstellend«. Daher soll die Anwendung hier »kritisch geprüft« werden. Neue Titel seien von den Regeln ausgenommen: »Einführungen sollten wir die Zeit lassen, im Markt anzukommen«, sagt Oberschelp. Besser kommunizieren, auch mit Fachwerbung, will der Verband gegenüber dem LEH, dass Pressesortimente Mehrertrag durch überdurchschnittliche Flächenproduktivität liefern sowie Zusatzumsätze in weiteren Segmenten, weil Zeitschriften Kunden in die Läden locken.

Hier beruft sich der VDZ auf bekannte Verlagsstudien: Je breiter das Presseangebot im Handel, desto länger die Verweildauer vor dem Regal – und desto mehr Titel werden gekau. Die begrenzte
Fläche? »Die betriebsindividuelle Balance zu finden zwischen verkaufsfördernder Vielfalt des Presseregals und der Vermeidung einer Überauslastung, ist für alle eine enorm wichtige Aufgabe«, bestätigt Ecker das bekannte Grundproblem.

Ein anderes Konfliktthema blockt der PMV ab. So will die abtrünnige Bauer Media Group (Oberschelp: »Wir stehen in lockerem Kontakt und tauschen uns zu vertriebsrelevanten Themen aus«) seit jeher differenzierte Handelstarife, etwa je nach Zahl der Verkaufsstellen. Ein solches »Verursacherprinzip« hatte vor vier Jahren auch Funke-Chef Manfred Braun angeregt, in seiner Funktion als VDZ-Vorstand: »neuartige« Handelsverträge mit regionalen Grosso-Tarifen und flexiblen Konditionen, je nach Leistungsumfang, den die Verlage abrufen (»Horizont« 14/2011). Wie steht es damit? »Die Frage stellt sich momentan nicht«, sagt Ecker: »Es gelten die bestehenden Verträge, die noch einige Jahre ihre Gültigkeit haben.«

Und wie ist das nun mit dem Ringen um die richtigen Wege beim digitalen Vertrieb? Das viel gelobte Grosso-System war ja seinerzeit durch Absprachen der Verlage entstanden. Wäre es nun nicht an der Zeit, verlagsübergreifende Standards auch für die digitale Presse zu schaffen – etwa eine Infrastruktur fürs Einloggen und Bezahlen? Oberschelp verweist auf bestehende Vertriebsplattformen und Bezahlsysteme: »Der digitale Vertrieb löst sich mittlerweile von der Spielwiese, und es lässt sich erahnen, welche Standards sich wohl durchsetzen werden.«