Jörg Peter Matthes hat in seinem Leben rund 40 Zeitschriften auf den Markt gebracht. Inzwischen ist der frühere Chef des GIT Verlags 70 Jahre jung und noch immer voller Tatendrang. Knapp vorm Rentenalter gründete er den Fachverlag Succidia – und wirbelt kräftig weiter.

Von Roland Karle

Vorerst gescheitert? Nein, wohl für immer. Jörg Peter Matthes kann es einfach nicht. Er ist unfähig. Nicht geschaffen für den Ruhestand. Das wird ihm spätestens dann klar, als er vor Jahren in der Frankfurter City umher schlendert, eine Boutique betritt und ein Hemd mit Kragenweite 43 kauft. Weder braucht er es noch will er es wirklich haben. „Da wurde mir bewusst, was ich sinnloserweise so alles tat“, erzählt Matthes.

Fachverleger Jörg Peter Matthes

Fachverleger Jörg Peter Matthes

Kurz nachdem er das Geschäft verlassen hat, macht er kehrt, geht wieder in den Laden und schenkt das gerade erworbene Hemd der verdutzten Verkäuferin. Kein Umtausch, kein Geld zurück. „Vielleicht gefällt es Ihrem Freund.“ Irgend so was hat Matthes wohl dazu gesagt. Eine ungewöhnliche Situation zwar, die aber auch schnell in der Schublade des Vergessens hätte landen können. Doch der heute 70-Jährige gelangt in diesem Moment zur Selbsterkenntnis, dass er fürs Nichtstun komplett ungeeignet ist. Eigentlich weiß Matthes das längst. „Wenn ich morgens aufwache, bin ich fröhlich und neugierig auf die Welt“, beschreibt er seinen „natürlichen Antrieb“. Beneidenswert.

Jörg Peter Matthes ist ein Unermüdlicher, ein Umtriebiger, ein Es-nicht-seinlassen-Könner. Was nicht heißt, dass er, der CEO der Succidia AG Verlag & Kommunikation und der geschäftsführende Gesellschafter der Werbeagentur 4t Matthes + Traut in Darmstadt, neben der eigentlichen Arbeit keine anderen Beschäftigungen fände. Ganz im Gegenteil. „Ich genieße, was ich tue“, sagt er. Matthes ist Unternehmer im wörtlichen Sinne: Einer, der etwas unternimmt – und das mit Leidenschaft. Nicht nur im streng geschäftlichen Sinne. Auch wenn er eine Zigarre raucht oder ein Glas Wein trinkt, wenn er kocht oder malt, wenn er mit Kalle, seinem Mischlingshund („Ein netter, schlauer Kerl mit gutem Charakter“) jeden Tag eine Stunde lang durch die Wälder streift.

In den ersten sieben Jahrzehnten seines Lebens hat Jörg Peter Matthes rund 40 Zeitschriften gegründet und man sollte – ein gut gemeinter Rat – keine zu hohen Wetten eingehen, dass keine weiteren mehr dazu kommen. Dazu sprudeln zu viele Ideen aus dem Mann, dessen erstes selbst verlegtes Magazin in einer Marburger Kneipe entstanden ist. Dort unterhielten sich zwei Herren, wie sich später herausstellen sollte die beiden Medizin-Professoren Emil Graul und Horst Kuni, so angeregt, dass es Matthes nicht lange am Nebentisch gehalten hat.

Der ist seinerzeit als Anzeigenvertreter für die Zeitschrift GIT unterwegs, die sein Stiefvater gegründet hat und zunächst bei Hoppenstedt erscheint. Dennoch ist der Weg des jungen Jörg Peter in die Verlagswelt alles andere als vorgezeichnet. Mit 13 Jahren büxt er von zu Hause aus. Er will Seemann werden, landet in Hamburg, kommt aber nicht weiter als ins Schifferheim. Zurück in der Heimat muss er sich mit der Landvariante des Matrosen zufrieden geben und wird Hafenarbeiter in Mannheim. „Ich hatte in meiner Jugend ein bewegtes Leben“, erzählt Matthes. Damit übertreibt er sicher nicht, und vor allem: Auch als junger Erwachsener geht es keinesfalls langweilig zu. Er arbeitet als Postverteiler bei der BASF, spielt Eishockey und beginnt ein Kunststudium. „Eigentlich wollte ich ein berühmter Maler werden. Aber es reichte dann nur zum recht erfolgreichen Verleger und zum Chef einer kleinen, aber auch sehr erfolgreichen Werbeagentur.““

Zuvor nimmt Matthes noch ein paar Umwege. Jürgen Brickmann, der als Professor für physikalische Chemie unter anderem an der Technischen Hochschule Darmstadt lehrte und heute  wissenschaftlicher Direktor der Succidia AG ist, beschreibt die frühe MatthesPassion anlässlich des 70. Geburtstages des Verlegers im Editorial von Labor & More, indem er nur einige seiner Stationen aufzählt: „Mit-Organisator der Camel Trophy (mit dem Jeep durch Südamerika), Heringsfischer, zu Fuß von Uppsala nach Hammerfest, Wehrdienst mit Zwangsbeförderung,  Kneipenwirt und Koch (immer noch sein Hobby). Er liebte wohl schon immer Zigarren, Rotwein, schöne Frauen und schnelle Autos (in nicht wertender Reihenfolge).“

Ehe Matthes 1969 den väterlichen GIT Verlag in wirtschaftlich angespannter Situation übernimmt, hat er bereits Erfahrungen als Unternehmer gesammelt. In Darmstadt führt der junge Matthes die Gaststätte „Das Relais“, später gründet er die „Mannheimer Tangente“. Und so schließt sich der Kreis – zurück am Kneipentisch in Marburg: Hier also sitzen sich der Verleger in spe und die  Experten gegenüber. Eine Konstellation, die Matthes‘ zukünftigen Erfolg ausmachen sollte. Nur einmal – beim Kreativ Magazin Wörkshop – geht er „völlig unstrategisch heran. Die Zeitschrift haben wir 1990 aus purer Lust an der Sache heraus gestartet“, so Matthes. Der Spaß war denn auch größer als der wirtschaftliche Erfolg. Aber das kann sich der Firmenchef damals schon leisten.

20 Jahre zuvor waren die Voraussetzungen anders. Da paaren sich unternehmerische Kühnheit, verlegerische Leidenschaft und strategischer Scharfsinn zu einem gelingenden Ganzen. Aus dem Kneipengespräch mit den Wissenschaftlern entwickelt sich schließlich Nuc Compact, eine Zeitschrift für Nuklearmedizin. Was Matthes damals ahnt, wird später zur Gewissheit. „Um eine erfolgreiche Zeitschrift zu machen, braucht ein Verleger kein tiefgründiges Wissen über das jeweilige Fachgebiet.“ Entscheidend sei vielmehr, die Zielgruppe der Leser und Anzeigenkunden, den Wettbewerb und die Kommunikationsmuster eines Marktes zu verstehen, zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Dieser Überzeugung bleibt Matthes treu und legt eine bemerkenswerte Verlegerkarriere hin. Als er den GIT Verlag 2002 an Wiley VCH verkauft, besteht das Programm aus rund 30 Zeitschriften und die Belegschaft aus 100 Mitarbeitern.

Danach folgt eine kurze und gescheiterte Periode als Ruheständler, in der ihm „die häusliche Decke auf den Kopf fällt“, wie Brickmann die Phase zwischen Abschied und Neubeginn als Verleger beschreibt. Ein neuer Geistesblitz führt dann zur Gründung von Succidia. Allerdings „sind es Gedankenblitze nicht allein, die kreative Menschen von einem Langweiler unterscheiden. Es gehört auch die innere Bereitschaft dazu, mit diesen Blitzen etwas anzufangen und die Energie, die Innovationen umzusetzen. Jörg Peter Matthes ist ein prototypisches Beispiel dafür“. Spricht der Chemophysiker und es klingt nicht nur wie eine Laudatio auf den Verleger.

Nach dem ebenso missglückten wie fürs weitere Leben erhellenden Hemdenkauf in Frankfurt kehrt der (Zu-)Frührentner Matthes im Oktober 2005 wieder zurück in die Verlagswelt. Und wie: 2010 gelingt Succidia – inhaltlich zu Hause in Forschung, Sportmedizin, Veterinärmedizin, Chemie und erneuerbaren Energien – fast eine Verdoppelung des Umsatzes gegenüber dem Vorjahr, 2011 wächst der Verlag um 20 Prozent, fürs laufende Jahr zeichnet sich ein Plus von 25 Prozent ab. Acht Titel gehören zum Programm des Verlags, der im gleichen Gebäude wie die 4t Matthes + Traut Werbeagentur in der Rösslerstraße 88 in Darmstadt zu Hause ist und eng mit ihr kooperiert.

Was gleich geblieben ist im Vergleich zu früher: Auch Succidia gibt wissenschaftliche Fachzeitschriften heraus. Was auffällt: Sie unterscheiden sich durch ein bisweilen spektakuläres Äußeres von anderen Titeln. Zum Beispiel  Hundkatzepferd, Ausgabe 4/2011: Auf der Titelseite macht sich ein Skinny Pig breit. Aufgenommen von hinten, und da sieht es ziemlich zerknautscht aus. Was Tierliebhaber in Nordamerika und Skandinavien nicht davon abhält, diese aus der Art geschlagene Meerschweinchenrasse super zu finden. Dort sind die mutierten Ferkel ein echter Hit. Das wissen jetzt auch die Leser von Hundkatzepferd, dem Magazin für Tierärzte. Selten konnte man rosa Schweinchen in voller Pracht und aus solch bemerkenswerter Perspektive bewundern.

Die Opulenz in der optischen Darstellung, die Art der Leseransprache, das große Format – das sind eher ungewöhnliche Merkmale für eine Fachzeitschrift. Aber eben nicht ungewöhnlich für Jörg Peter Matthes, der in den knapp sieben Jahren seit dem Start von Succidia sieben neue Magazine auf den Markt gebracht hat. „Unsere Magazine heben sich deutlich von anderen Medien im Markt ab“, sagt Matthes. Mit Sätzen wie „Print ist tot“ kann der Fachverleger nichts anfangen. So pauschal „stimmt das einfach nicht. Wir beweisen doch das Gegenteil.“

Die Zeitschrift Labor & more, der Sportmedizin-Titel Medicalsportsnetwork, Hundkatzepferd für Veterinäre, die Publikationen Energie und Green sowie das Chromatografie-Magazin Chromchat und die Life-Science-Zeitschrift Chemie & more verdienen ihr Geld überwiegend durch das klassische Anzeigengeschäft. „Fachverlage haben sich der Industrie oft als ,billiger August‘ präsentiert, ihre Inhalte verschenkt und im Gegenzug um eine Anzeige gebeten. Was für ein Blödsinn“, kritisiert Matthes. Er ist ein glühender Verfechter gedruckter Medien und davon überzeugt, dass trotz unbestreitbarer Stärken des Internets „Print besser steuern kann als Online und in den wissenschaftlichen Zielgruppen hoch akzeptiert ist“.

Die Leser seien allerdings anspruchsvoller denn je. „Sie erwarten auf Papier etwas Außergewöhnliches. Deshalb setzen wir auf Qualität und ein hochwertiges Leseerlebnis“, sagt Matthes. Und er will, dass sich niemand bei und mit der Lektüre quälen muss. „Scientific Entertainment“ nennt Jörg Peter Matthes das, wofür Succidia steht. „Gute und gut gemachte Kommunikation bringt nicht nur Erfolg, sondern soll auch allen Beteiligten Spaß bereiten.“

Erschienen in impresso 2/2012