Zeitschriften profitieren davon, wenn sie eine größere Nähe zum Leser herstellen und Communitys mit persönlichem Zugang schaffen. Aktuelle Beispiele zeigen, wie das gelingen kann.

Von Roland Karle, Freier Journalist, Neckarbischofsheim, www.roland-karle.de

Dieser Satz wird Gabor Steingart nicht langweilig, er wiederholt ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit. „Wir sind keine Unterabteilung der Holzindustrie, sondern eine Gemeinschaft zur Verbreitung des wirtschaftlichen Sachverstandes“, betont der Chef der Verlagsgruppe Handelsblatt (VHB). Damit geht für ihn eine erweiterte Definition von (Print)Medien einher. Bezogen auf das Handelsblatt sagt Steingart: „Im Mittelpunkt einer modernen Wirtschaftszeitung steht die Begegnung von Menschen mit Menschen.“ Ähnlich klingt die Einlassung von Miriam Meckel, Chefredakteurin der ebenfalls zur VHB gehörenden Wirtschaftswoche: „In unserer Zeit geht es nicht nur ums Informieren, sondern ums Verstehen. Je komplexer ein Thema, desto tiefer und persönlicher muss der Austausch werden.“

Beide Titel verstehen sich als umfassende Medienmarke – von der klassischen Printpublikation über zahlreiche digitale Plattformen bis hin zur realen Begegnungsstätte. Kein Zufall, dass erst Handelsblatt und nun auch Wirtschaftswoche eigene Clubs gegründet haben. Jeder Abonnent kann kostenlos Mitglied werden und sich aus einem Strauß zusätzlicher Angebote bedienen, zum Beispiel an kostenlosen oder vergünstigten Veranstaltungen teilnehmen, aufs Archiv und spezielle digitale Inhalte zugreifen, bei Redaktionsbesuchen und regionalen Club-Gesprächen dabei sein.

Seit Club-Gründung sinkt die Kündigungsquote

Dem Handelsblatt Wirtschaftsclub gehören inzwischen mehr als 120.000 Mitglieder an, darunter auch Abonnenten der VHB-Fachzeitschriften Absatzwirtschaft und Der Betrieb. Rund ein Viertel habe sich bislang an diversen Clubaktivitäten beteiligt, berichtet Dirk Westermann, Geschäftsführer des Handelsblatt Wirtschaftsclubs. Wenn der Zeitungs- oder Magazinleser zum Clubmitglied wird, soll das die Beziehung zur Medienmarke stärken. Erste Befunde zeigen, dass das funktionieren kann. Die Kündigungsquote bei den Abonnements „ist noch einmal spürbar zurückgegangen“, so Westermann.

Dem Leser näherkommen, ihm zusätzliche Avancen machen und ihn als Freund der Marke gewinnen: Darum bemühen sich Verlage zunehmend. Für Nikolaus Förster gehört das inzwischen zu den wichtigsten Aufgaben. Folgerichtig hat der Chefredakteur und Verleger des Unternehmermagazins Impulse die Impulse Akademie gegründet, die im vergangenen Jahr rund 75 Veranstaltungen mit 3000 Teilnehmern durchgeführt hat. Der Anteil am Gesamtumsatz sei noch gering, „aber das Geschäftsfeld ist für uns strategisch sehr wichtig“, so Förster.

Dadurch verändert sich auch das Tätigkeitsprofil der Redakteure. Sie werden vielseitiger, übernehmen auch andere Aufgaben jenseits von Recherchieren und Schreiben. Zum Beispiel moderieren sie Events und entwerfen Konzepte für Workshops. „Das Programm der Akademie ist sehr stark getrieben durch die Expertise der Redaktion“, sagt Förster, der vor knapp vier Jahren Impulse von seinem früheren Arbeitgeber Gruner + Jahr gekauft hat und nun selbst als Unternehmer agiert.

Leser wird vom Abonnent zum Mitglied

Er ist überzeugt: „Medien haben nur eine Zukunft, wenn es ihnen gelingt, wirklich relevant zu sein – und dazu kann gehören, Geld zu sparen, neue Tipps oder Ideen zu erhalten.“ Wie zum Beispiel bei jener Anwältin, die in Impulse einen Artikel über Elternzeit und Kündigungsschutz gelesen, den darin geschilderten juristischen Tipp befolgt und dadurch 16.800 Euro gespart habe. Ein anderer Leser meldete sich bei Förster und bedankte sich für 80.000 Euro. So viel Geld brachten ihm Informationen, die er in einem Beitrag über Gewinnthesaurierung und steuerliche Effekte entdeckt hatte.

Zwei Beispiele, die in ihrer Dimension sicher Ausnahmen und nicht die Regel sind. Doch der Impulse-Verleger sieht sich dadurch bestärkt in seiner Haltung: „Das gedruckte Magazin ist ein Kommunikationskanal unter mehreren. Auf was es aber viel entscheidender ankommt, das ist der Nutzen, den wir bieten – ob nun im Heft, Online, auf Unternehmer-Reisen oder bei unseren Seminaren und Konferenzen.“

So schaffen Zeitschriften einen Mehrwert für ihre Leser – und erweitern sowohl ihren Spielraum bei der Bestimmung von Copypreisen als auch ihre Erlösquellen durch zusätzliche Angebote. Seit der Übernahme von G+J hat Nikolaus Förster Impulse schon zwei Mal teurer gemacht. Er hob den Heftpreis erst von 7,50 auf 9,90 Euro, dann auf 12,80. „Es gab keine negativen Reaktionen, die Kündigungsquote ist sogar zurückgegangen“, berichtet der Verleger.

Seine Erkenntnis: Wenn Leser relevanten Inhalt suchen, spielen solche Preisunterschiede keine Rolle. Abgeschafft hat Förster auch Anwerbeprämien für Neuabonnenten („Uns bringen Schnäppchenkäufer nichts“) und Kündigungsfristen. Selbstbewusstsein und Selbstverständnis haben sich verändert. „Bei Impulse ist man Mitglied, nicht Abonnent“, so Förster.

Die Zeitschrift mit Café-Charakter

Eine der erfolgreichsten Zeitschriftengründungen der vergangenen Jahre heißt Meins – und verdankt ihren Aufstieg auch dem von Beginn an praktizierten Konzept, eine persönliche Leserbeziehung aufzubauen. Gestartet im August 2012 in einer gedruckten Auflage von 300.000 Exemplaren, erscheint das Magazin für Frauen ab 50 seit Mai dieses Jahres zweiwöchentlich statt wie zuvor monatlich. Es verkaufte sich im 3. Quartal 2016 laut IVW durchschnittlich rund 135.849 Mal. „Wir setzen nach der Frequenzumstellung etwa 60 bis 80 Prozent mehr Hefte pro Monat ab. Das übertrifft unsere ursprünglichen Erwartungen“, sagt Verlagsleiterin Ilka Clark. Für die Verdopplung der Frequenz hat sich der Verlag bewusst entschieden, weil viele Leserinnen diesen Wunsch offensiv formuliert hatten.

Bauer Media gibt in Großbritannien seit Jahren das 50plus-Magazin Yours heraus. „Sie war in vielen Dingen unser Vorbild bei der Entwicklung von Meins“, sagt Clark. „Die Gene dieser Zeitschrift, die ein tiefes Wir-Gefühl propagiert, haben wir übernommen.“ Und wie lässt sich dieses „Wir-Gefühl“ wecken? Eine zentrale Rolle spielt dabei das „Café Meins“. Es ist sowohl digitaler als auch realer Treffpunkt für die Leser und unterscheidet sich dadurch wesentlich von der Vielzahl klassischer Magazine.

Digitale Drehscheibe und realer Treffpunkt

CafeMeins.de hat sich zu einer stark besuchten „Community für Frauen ab 50“ entwickelt. Wer sich dort kostenlos registriert, kann Beiträge im Blog hinterlassen, eigene Geschichten schreiben, sich für Events anmelden, den Newsletter abonnieren. Die Website wird, ebenso wie die Facebook-Seite mit über 20.000 Freunden, zur digitalen Drehscheibe – und stellt eine direkte Verbindung mit anderen Leserinnen und der Zeitschrift selbst her. Mittlerweile gibt es mehr als 50 regionale Gruppen, die im richtigen Leben gemeinsam etwas unternehmen, und bis zu 50 Veranstaltungen, die jedes Jahr von der Redaktion initiiert werden. Dadurch tun sich oft interessante Themen und Geschichten auf, die sich später im Heft wieder finden. „Von der Frau, die mit 50 ein Hotel gegründet hat bis zu jener, die Motorradfahren gelernt hat – sie alle haben wir durch die Treffen kennengelernt“, berichtet Clark.

Dass eine Zeitschrift nicht nur etwas zum Blättern und Lesen ist, sondern Begegnungen schaffen kann, mussten alle Beteiligten lernen. Die Verlagsleiterin erinnert sich noch gut an das erste Treffen im „Café Meins“ 2012 in Potsdam. „Da haben sich manche Leserinnen fragend umgedreht, weil sie wohl erwarteten, dass wir ihnen gleich eine Heizdecke verkaufen wollen“, schildert Clark die Szenerie. Unsicherheit und Zweifel sind verflogen, im „Zeitschriften-Café“ fühlen sich die Besucherinnen willkommen und gut aufgehoben. Nebenbei bietet es einen offenbar nicht zu unterschätzenden Anreiz. „Dadurch, dass die Cafés prominent im Heft gezeigt werden, können wir uns kaum retten vor Damen, die gerne mit uns bei Prosecco brunchen wollen“, sagt Clark.

Der enge Kontakt zum eigenen Publikum hilft nicht nur, eine unmittelbare, unverfälschte Resonanz auf das redaktionelle Konzept zu bekommen. Ilka Clark ist davon überzeugt, „dass keine Zeitschrift ihre Leserinnen so gut kennt wie Meins. Dieses Wissen teilen wir gerne mit unseren Anzeigenkunden, die diese Zielgruppe unter den Konsumenten 50plus auch erreichen möchten.“ Werbekunden sind immer mal wieder bei Events direkt eingebunden, ob es nun um ein Training bei Fitness First geht oder die Besichtigung eines Kreuzfahrtschiffs mit Tui. Im Idealfall ist das eine Win-Win-Win-Situation: Dem Publikum gefällt das Event, der Kooperationspartner kann seine Marke erlebbar machen, der Verlag freut sich über zufriedene Leserinnen und Werbekunden.

(Foto: Rawpixel.com / Fotolia)