Verlage haben heute nicht mehr nur die Möglichkeit auf ihrer eigenen Website zu publizieren, sondern genau so über Facebook, Snapchat und Co. Ist das ein Fluch oder ein Segen? Erweitern sie dadurch die Reichweite oder machen sie sich zum Handlanger der Giganten? Hier lesen Sie Pro und Kontra.

von Christian Jakubetz

PRO:

Was waren das für schöne Zeiten, als wir mit unseren Angeboten noch diejenigen waren, zu denen User ganz automatisch gekommen sind. In analogen Zeiten sowieso, später dann aber auch noch in den Anfangstagen des digitalen Zeitalters: Was früher die Zeitung war, war halt dann die Homepage. Egal, die Leute kamen zu uns, weil sie wussten: Hier gibt es guten Inhalt.

Tempi passati. Wir produzieren zwar immer noch Inhalte, aber kein Mensch mehr muss sie auf Angeboten nutzen, die von uns betrieben werden. Was uns ziemlich zupass kommt: Plötzlich haben wir potenziell sehr viel höhere Reichweiten als früher, erreichen wir unser Publikum auf allen möglichen Kanälen und Endgeräten – und kommen zudem auch noch an User ran, die vorher gar nicht wussten, dass es uns gibt. Keine Streuverluste mehr, nie wieder die Befürchtung, jemand könnte eine Geschichte von uns nur deshalb verpassen, weil er eine Ausgabe nicht bekommen hat – aus welchen Gründen auch immer.

Die Idee, Inhalte auf so vielen Plattformen wie möglich zu publizieren, ist am Ende nur konsequent. Weil sie Nutzungsgewohnheiten Rechnung trägt, die sich schon lange etabliert haben und die in den kommenden Jahren vermutlich zum Standard werden. Für ein jüngeres Publikum ist es schon jetzt die selbstverständlichste Sache der Welt: Inhalte da zu konsumieren, wo es gerade am besten passt. Griffige Formel: Content, Kontext, Endgerät. Soll heißen: Medien werden je nach Zusammenhang und Nutzungssituation unterschiedlich genutzt. Jemand, der gerade mobil unterwegs ist, wird kaum dieselben Dinge in der Intensität lesen wie jemand, der es sich gerade auf seiner Couch daheim bequem gemacht hat.

Kaum zu erwarten, dass jemand, der mit dieser Art der Mediennutzung sozialisiert wird, plötzlich auf die Idee kommt, alles anders zu machen, nur weil er plötzlich etwas älter geworden ist.

Warum auch? Es spricht eine ganze Menge dafür, sich die Inhalte situations- und gerätegerecht servieren zu lassen. Und ja, leider auch: gesammelt, gefiltert, kuratiert, in sozialen Netzwerken, in diversen Apps, in Suchmaschinen. Unbestritten ist, dass die Welt früher einfacher war und die Geschäftsmodelle deutlich übersichtlicher. Das ändert nichts daran, dass es einen Weg zurück nicht mehr geben wird.

Homeless Media jetzt also. Wie es der Name schon nahelegt: das Gegenteil dessen, was in Begriffen wie Homepage mitschwingt. Es geht nicht mehr darum, Nutzer unbedingt auf das eigene Angebot, in die eigene Heimat zu holen. Viel besser und wichtiger: Nutzer dort abzuholen und im wahrsten Sinne des Wortes zu bedienen, wo sie sich gerade befinden. Warum auch sollten Medien und Journalismus nicht das sein, was auch die Bahn, die Post oder die Telefonauskunft sind – nämlich Dienstleister für Kunden, die umfangreich und der jeweiligen Situation angepasst informiert sein wollen (bevor es zu Missverständnissen kommt, die Idee des Dienstleisters bezieht sich natürlich nicht auf die journalistischen Inhalte)?

Natürlich, man wird Geschäftsmodelle finden müssen. Solche, die die Arbeit der Verlage angemessen honorieren. Inhalte an Facebook oder andere Netzwerke einfach zu verschenken, ist keine schlüssige Idee. Sie im klassischen Sinne zu verkaufen aber auch nicht. Schon allein deswegen nicht, weil es keinen Käufer geben wird. Wohl aber funktionieren „Sharing-Modelle“, wie beispielsweise die „Instant Articles“ bei Facebook. Verlage nutzen die Plattform und die technische Infrastruktur, bekommen zudem die enormen Reichweiten des Netzwerks zur Verfügung gestellt und können Beiträge auch noch nach eigenem Gusto vermarkten. Dafür tritt der Verlag einen bestimmten Anteil an die Plattform ab, auf der sie gerade publiziert.

Das ist kein völlig neues Modell. Die Musikindustrie und Apple haben es bei iTunes vorgemacht. Was keineswegs zum Schaden der Musikindustrie war, schließlich bekam sie zum ersten Mal ein funktionierendes und noch dazu legales Modell an die Hand, ihre Inhalte auch digital an das Publikum zu bringen. Dass die Kunden sich schnell daran gewöhnten, hatte neben vielen anderen auch diesen Grund: Am Ende interessieren sie sich nicht dafür, bei welchem Label Musik erscheint. Was sie wollen ist… die Musik, mehr nicht.

Gut möglich, dass eine solche Idee auch in den Medien in den kommenden Jahren eher die Regel als die Ausnahme ist.

CONTRA:

Werden wir künftig alle zu Zulieferern von Facebook, Google und Co? Verdienen Weltkonzerne Milliarden, während für Verlage nur noch die Brosamen übrigbleiben? Man muss das befürchten. Weil sich diese Konzerne nicht mehr damit zufriedengeben, einfach nur Menschen miteinander zu verbinden oder das Internet nach den besten Antworten auf viele Fragen zu durchsuchen. Stattdessen ist Google nur noch ein Teil des vermutlich bald wertvollsten Konzerns der Welt. Und dass Mark Zuckerberg nicht weniger erbauen will als das digitale Gedächtnis der Welt, bestreitet nicht mal er selbst. Auf diesem Weg ist er mit seinem Konzern schon weiter als er vermutlich selbst jemals gedacht hat. Denn tatsächlich ist Facebook die größte Medien- und Kommunikationsmaschine, die die Welt gesehen hat. Facebook mit seinen rund 1,3 Milliarden Nutzern, WhatsApp mit rund einer Milliarde Nutzer, Instagram als die größte und beliebteste Fotoplattform im Netz – das alles gehört zum stetig wachsenden Zuckerberg-Imperium.

Sieht man die Sache nüchtern und statistisch, dann gibt es keinen Deutschen mehr, der nicht schon mal eines der Produkte von Google und/oder dem Facebook-Imperium verwendet hat. Selbst wenn man den beiden Konzernen nur die besten Absichten unterstellt, kommt man an einer Feststellung nicht vorbei: Die Macht, die sich hier bei einigen wenigen konzentriert, ist eher ungut.

Damit ist der Machthunger der Giganten noch lange nicht gestillt. Im Gegenteil, speziell Facebook geriert sich zunehmend mehr wie jemand, der auch zum Medienkonzern werden will. Natürlich wird man dort keine Redaktion aufbauen, schon alleine deswegen nicht, weil vermutlich nur die Wenigsten „Facebook News“ lesen wollen. Der Gedanke ist einfacher und zumindest aus Sicht von Facebook vermutlich zwingend: Man lässt sich Stücke zuliefern. Nicht einfach so, wie das bisher schon der Fall ist, nämlich mit Verlinkungen nach außen. Dann würde ja der User das schöne Facebook-Imperium wieder verlassen. Deswegen sorgt man mit allen erdenklichen Kniffen dafür, dass Inhalte auf der eigenen Plattform bleiben und auch da genutzt werden. Videos werden höher bewertet und bevorzugt ausgespielt, wenn sie direkt bei Facebook hochgeladen werden. Und Texte bzw. Multimediastücke? Dafür gibt es die Idee von „Instant Articles“.

Natürlich kann man darauf verweisen, dass Facebook diese Inhalte auch – indirekt – bezahlt. Aber wie hoch ist der Preis, den man als Verlag mittelfristig dafür bezahlt? Die eigene Identität droht verloren zu gehen, die eigene Marke bröckelt und eine Spirale wird in Gang gesetzt. Weniger eigene Reichweite, schlechtere Vermarktungsmöglichkeiten und ein Deal mit einem Partner, der schon jetzt der eindeutig stärkere Part ist und mit jeder zugelieferten Geschichte noch stärker, noch mächtiger wird.

Wo der eigentliche Profit für die Verlage liegen soll, ist dagegen offen. Vermarktungserlöse, klar – aber kompensieren die wirklich die zu erwartenden Verluste, wenn das eigene Kerngeschäft massiv geschwächt wird? Reichweite? Die gleiche Problematik wie bei den Erlösen. Kurz gefragt: Schaufeln sich Verlage nicht ihr eigenes Grab und lassen sich dieses Schaufeln mit vergleichsweise mickrigen Beträgen vergüten?

FAZIT:

Facebook, Google und all die anderen Digital-Riesen: Irgendjemand hat für sie mal den schönen Begriff „frenemy“ geprägt. Ein Freundfeind also, wenn es so etwas geben sollte. Was auf den ersten Blick widersinnig klingt, ist Realität: Sie können tatsächlich beides sein. Unbestritten ist, dass man durch das Publizieren über verschiedene Kanäle hinweg erstens neue Reichweiten bekommt und man zweitens so dem Nutzungsverhalten des digitalen Publikums gerecht wird. Unbestritten ist aber eben auch, dass jeder Nutzer, der gerade bei Facebook ist, nicht bei einem Verlagsangebot ist. Absehbar ist auch: Für viele User ist es inzwischen selbstverständlich geworden, seinen täglichen Informationsbedarf über soziale Netzwerke zu decken. Offen ist, wieweit die Marke eines Verlags dadurch geschwächt wird: Werden Beiträge eines Verlags im Social-Media-Newsstream noch als solche wahrgenommen – oder gibt es zunehmend mehr Menschen, die dann mal solche Sätze sagen wie: Das habe ich bei Facebook gelesen?

Die alles entscheidende Frage ist ohnehin eine ganz andere: Ist die Entwicklung hin zu homeless media überhaupt noch aufzuhalten, selbst wenn uns das gar nicht passt? Das alte Internet, das wir bisher kannten, stirbt gerade. Die neuen Spielregeln stellen möglicherweise ganz andere auf.