Überschriften müssen sich im Online-Journalismus in der Timeline der Facebook-Nutzer bewähren. Dabei helfen einige bewährte Kniffe – und ein paar neue Erkenntnisse.

Von Markus Reiter, Schreibtrainer, Stuttgart, www.klardeutsch.de

buzzfeedAm Tag der Nominierung von Donald Trump zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner begegnete der Leser auf der Website der weltweit führenden US-Nachrichtenseite „buzzfeed“ einem Hauch von gutem, altem Journalismus. „It’s Don“ hieß es da. Ein Wortspiel mit „it’s done“, also „Es ist vollbracht“. Ältere Leser werden sich an eine Zeit erinnern, in der Autoren stolz auf solche geistreichen, witzigen Wortspiele waren. Tempi passati. Schon die lange Liste an Schlagzeilen unter dem Trump-Artikel holte den Leser in die Wirklichkeit zurück: „12 Cheesy One-Pot Pastas That Taste Like A Million Bucks“ und „21 Hysterical Tweets About Books That Will Make You Laughzählten zu den Artikeln der Kategorie „trending“.

Rund 180 Millionen „unique visitors“ verzeichnet die US-amerikanische Seite von „buzzfeed“ im Monat. In sieben von zehn Fällen werden die Inhalte von einem Smartphone oder Tablet abgerufen. Über die Hälfte der Nutzer sind jünger als 35 Jahre. Drei Viertel seines Traffics generiert „buzzfeed“ über soziale Medien. Andere Portale wie „viralnova.com“ (deren deutsches Pendant „heftig.de“ ist) setzen noch stärker auf die Verbreitung durch soziale Medien, vor allem über Facebook.

Mit anderen Worten: „buzzfeed“ steht für die Zukunft des Journalismus in der voraussehbaren Zukunft. Grund genug also für deutsche Redaktionen, sich anzuschauen, mit welchen Tricks diese Medien ihren Erfolg bei den sozialen Medien erzielen – und was sich in den letzten Monaten daran geändert hat.

beitrag_facebookDie folgenden neun Erkenntnisse basieren auf der Auswertung mehrerer Dutzend Studien und Tests. Die meisten konkreten Zahlen stammen aus den USA. Da aber die Kopien der US-Portale in Deutschland erfolgreich sind, spricht vieles dafür, dass sie sich (mit Abstrichen) übertragen lassen. Die Buzzfeedisierung des Journalismus beschränkt sich dabei nicht auf die unmittelbaren Ableger oder Eins-zu-eins-Kopien. Nachrichtenportale wie Focus-Online und Stern-Online arbeiten mit denselben Methoden – und bei vergleichsweise seriösen Medien wie Spiegel-Online, Zeit-Online und FAZ.net kann man ebenso ihren Einfluss beobachten. Hier sind also neun Tipps für Schlagzeilen, die bei Facebook und anderen sozialen Medien für Viralität sorgen.

1. Es kommt (fast) nur auf die Überschrift an

Ob ein Nutzer einen Inhalt, sei es ein Video, sei es einen Artikel, mit seinen Freunden teilt, hängt entscheidend von der Überschrift ab. Was dann folgt, ist zweitrangig. Sechs von zehn Usern lesen eine Artikel, den sie geteilt haben, nicht zu Ende, ergab eine Studie der Columbia-Universität über Links in Tweets. Das Online-Magazine „Yackler“ hat daraus ein kleines Experiment gemacht. Es verbreitete einen Artikel mit der alarmierenden Überschrift „Scientists say giant asteroid could hit earth next week, causing mass devastation“. In den ersten zwei Absätzen ging es in der Tat um den angeblichen Meteoriten. Doch schon der dritte Absatz entlarvte die Warnung als Hoax, als Jux also, und verwies auf die Studie der Online-Experten. Der Artikel zieht das Fazit: „Teilen Sie nichts, was sie nicht gelesen haben. Informiert sein bedeutet verantwortlich handeln.“ Tausende teilten den Artikel ohne ihn gelesen zu haben (für Skeptiker: wer die Sache durchschaut hatte und den Artikel gerade deshalb teilen wollte, wurde im letzten Absatz gebeten, ein Farbwort in seinen Retweet einzubauen).

2. Eine Überschrift sollte dem User bereits alles verraten, was er wissen muss.

Leser bevorzugen Eindeutigkeit. Dann dürfen die Überschriften mal 70 oder 80 Zeichen lang sein. Hier haben sich die Anforderungen in den letzten ein, zwei Jahren geändert. Bis vor kurzem galten kurze Überschriften als erfolgreicher. Die User nutzten die Nachrichtenseiten direkt. Sie erkannten daher sofort den Kontext. Heute fügen sich journalistische Nachrichten in die Timeline der User von Facebook ein. Sie stehen neben persönlichen Botschaften von Freunden. Beim Überfliegen des Informationsstroms helfen ausführlichere, konkrete Überschriften bei der Auswahl der Lektüre. Der Leser will das Wichtigste sofort wissen. Viral wird es, wenn die Schlagzeile überraschend oder provokant ist. „In Berlin hatte ein Transporter anderthalb Tonnen Fladenbrote zu viel geladen“, lautet eine Headline bei „Vice“, dem Nachrichtenportal für die Millenials. Eine andere las sich: „Le Corbusier war Faschist und ist heute der Stolz der Regierung Baden-Württembergs.“

3. Seelenwanderungen und andere Kuriositäten machen neugierig.

Noch eine Schlagzeile aus „Vice“: „Ein Mann hat ein konserviertes Gehirn geklaut, um von der Flüssigkeit high zu werden“. Und „heftig.de“ setzt eins drauf: „Chinesische Überwachungskamera soll Seele verstorbener Frau zeigen.“ Ein Viertel aller geteilten Posts sprechen ein Gefühl an, das im Englischen als „awe“ bezeichnet wird. Man kann es mit „ehrfürchtigem Schauern“ übersetzen, also einer Mischung als Staunen und Schaudern. Es handelt sich damit um die erfolgreichste Emotion bei Facebook-Posts.

4. Zum Lachen und Staunen: Gefühle sind gut.

Selbst wenn man durch die öffentliche Diskussion und den eigenen Augenschein das Gefühl hat, Wut und Ärger würden die sozialen Netzwerke beherrschen – der Eindruck täuscht. Nur sechs Prozent der geteilten Inhalte sprechen die Emotion „Ärger“ an. Viel viraler sind die positiven Gefühle: Lachen (17 Prozent), das etwas mildere Amüsement (15 Prozent) und Freude (14 Prozent). Trauriges behalten die Menschen offenbar lieber für sich. Gerade einmal einer von hundert geteilten Posts spricht dieses Gefühl an.

5. Superlative sind super.

Superlative sind nur gut, wenn sie moderat eingesetzt werden – oder ganz dick aufgetragen. In einer Umfrage wurden die Überschriften „27 Wege, einen Hund zu trainieren“ (ohne Superlative) und „Die 27 besten Wege, einen Hund zu trainieren“ (ein Superlativ) von mehr als der Hälfte der Befragten bevorzugt. Die Überschrift „Die 27 besten Wege aller Zeiten, einen perfekten Hund zu trainieren“ (drei Superlative) fanden nur zehn Prozent ansprechend. Interessanterweise fühlte sich jeder Vierte von vier Superlativen angesprochen „Die 27 besten und klügsten Wege aller Zeiten, einen perfekten Hund zu trainieren“. Da die Studie aus den USA stammt, wo man mit Superlativen großzügiger umgeht, kann man für Deutschland bei der letzten Version vermutlich Abstriche machen.

6. Die schlimmsten Superlative sind besser.

Was funktioniert besser: „Die sieben schlimmsten Sünden unserer Politiker“ oder „Die sieben besten Ideen unserer Politiker“? Sie werden bei der Antwort nicht lange zögern. Und in der Tat: Bei einem direkten Vergleich werden Überschriften mit positiven Superlativen 30 Prozent seltener geteilt als solche ohne Superlative. Mit negativen Superlativen steigt die Viralität um 30 Prozent.

7. Unglaublich, was aus dem Curiosity Gap geworden ist.

„Herzzerreißend: Mädchen bekommt eine Puppe und reagiert unglaublich!“ Solche Schlagzeilen war man vom Social-Media-Medium „heftig.de“ lange gewohnt. Das amerikanische Portal „upworthy.com“ hatte diese Art der Überschrift kultiviert („Two fans took a risk by showing up at their hero’s house. Then he surprised them.“) Dort sprach man vom „curiosity gap“. Im deutschen ist der Begriff „Cliffhanger“ verbreitet. Die Masche funktioniert zwar immer noch, verliert aber stark an Bedeutung. Heutzutage muss man einige Zeit suchen, um auf den Portalen noch eine Cliffhanger-Überschrift zu finden. Offenbar ging sie vielen Usern durch Übersättigung auf den Geist. Neun von zehn Überschriften in den Social-Media-Portalen bringen inzwischen den Kern der Nachricht auf den Punkt (wie unter 2. beschrieben).

8. Diese 17 Listicals sind weiterhin der Renner.

Sämtliche Überschriften in der Top Ten-Liste des deutschen Ablegers von „buzzfeed“ sind Listicals. Das klingt dann so: „19 Fotos, die zeigen, dass der Krieg der Pokémon-Teams im vollen Gange ist“. Psychologen gehen davon aus, dass Listicals den Usern Vollständigkeit suggerieren. Sie bringen einen komplexen Inhalt auf eine verdaubare Anzahl von Informationen.

Erfolgreich sind vor allem jene Listen, die beim User nostalgische Gefühle hervorrufen („35 Bilder, die niemand versteht, der in den 90ern kein Schulkind war“), sie als Teil einer Gruppe mit einer spezifischen Gemeinsamkeit ansprechen („22 Probleme, die nur Frauen haben, die extrem viel schwitzen“) und Heimatgefühle wachrufen („22 Fotos, die wirklich nur Kölner raffen können“).

Bei einer Umfrage unter US-Nutzern bevorzugten 36 Prozent der User eine Überschrift in der Form einer Liste. Am zweitbesten schnitt eine direkte Ansprache des Lesers ab (Beispiel: „Stell dir vor, du bist unter 18 und Mutter. Wie sieht das Leben dann aus?“). Eine ganz normale Überschrift fanden nur 15 Prozent gut.

Übrigens: Natürlich muss man die Listenplätze konsequent durchzählen und nicht, wie nach der Zwischenüberschrift zu diesem Tipp, das Versprechen unerfüllt lassen.

9. Sex geht immer.

Die vielleicht älteste journalistische Erkenntnis der Welt: Sex zieht immer. Überschriften, die auf Sexuelles anspielen, haben eine gute Chance, viral zu werden. Zum Beispiel: „Porno-Stars erklären, wie sie die Social-Media-Richtlinien umgehen, um Werbung für sich zu machen“ (vice.de). Zumal dann, wenn Sie sprachlich weitere Tabus brechen „‘Pokèmon Go‘ stört dich jetzt noch beim Ficken“ (vice.de).

Als ganz so eindeutig erweist sich der Fall allerdings nicht. Zwar wird der Anteil von pornografischen Inhalten auf rund 35 Prozent des weltweiten Datenverkehrs im Internet geschätzt, aber bei den sozialen Medien geht es immer um Selbstdarstellung. User teilen Inhalte, mit denen sie identifiziert werden möchten und von denen sie erwarten, dass sie damit in ihrer Peer-Group, also ihrem sozialen Umfeld, anerkannt werden. So groß das Interesse an Sex bei jedem Menschen sein mag, nicht in jedem Milieu möchte man sich dazu bekennen.

Trotzdem wird Sex wohl auch in absehbarer Zukunft das Interesse der User auf sich ziehen. Bei den anderen Tricks ist das weniger eindeutig. Listicals zum Beispiel scheinen sehr langsam an Popularität einzubüßen, von einem hohen Ausgangsniveau aus. Redaktionen werden in Zukunft noch schneller auf sich wandelnde Vorlieben eingehen müssen, wenn sie ihre Stellung im Strom der Social-Media-Informationen ihrer User halten wollen.