Berichtet wird meist über Medienkonzerne und Großverlage, Publikumsmagazine mit hoher Auflage und Verleger mit bekanntem Namen. Dabei geht es bei den Kleinen und Mutigen mindestens genauso spannend zu.

Von Roland Karle

Unterm Titel Shift lautet es ganz lässig: „Das L steht für Veränderung“. Mittendrin geht’s um die Frage, warum wir andere Menschen so schnell in Schubladen stecken, köstlich serviert in der Zeile: „Eine Meinung und zwei Cola, bitte“. Der Komiker Chris Tall hat wirklich Witz, wenn er so Warnungen von sich gibt wie: „Traue nie einem Rollstuhlfahrer mit dreckigen Schuhen.“ Sein zweiseitiges Editorial, voller nachdenklicher Wünsche und Fragen an das Leben, richtet Chefredakteur Daniel Höly, gerade Papa geworden, an seinen Sohn Noah.

So viele kleine Perlen. Die dritte Ausgabe von Shift lädt zum Stöbern und Staunen ein, aber nicht nur das: Sie schafft es auf erfreulich behagliche Weise, ein oft arg trocken daher gekautes Thema wie „Bildung“ auf 132 Seiten zu entblättern. Allein schon die Anmoderation auf Seite eins: „Das 11. Gebot: Du sollst selbst und ständig denken.“ Oder die Idee, das Inhaltsverzeichnis als „Playlist“ zu bezeichnen und jeder angekündigten Geschichte eine Lesezeit zu geben. Für den Text „Einfach mal die Fresse halten“ beispielsweise sollte man sich elf Minuten reservieren.

Kurzum: ein klasse Heft. Daniel Höly hat zwar über sechs Monate dafür gebraucht, nach normalen verlegerischen Maßstäben ist das eine halbe Ewigkeit. Doch die Creedoo Unternehmergesellschaft, in der Shift erscheint, ist im Grunde ein Ein-Mann-Betrieb: Gründer Höly wirkt als Herausgeber, Chefredakteur und Geschäftsführer zugleich. „Die nächste Ausgabe wollen wir deutlich schneller hinbekommen“, sagt er. Das Redaktionsteam wird auf drei Leute ausgebaut, ansonsten bleibt es dabei: Die meisten Texte schreiben weiterhin freie Autoren, ums Layout kümmert sich die Schweizer Agentur Basel West.

Höly hat einen hohen Anspruch an die eigene Arbeit. „Wir möchten ein Magazin machen, das die junge Generation in Deutschland wirklich lesen will und mit relevanten Geschichten bewegt.“ Jene „Always-on“-Generation, zu der er selbst zählt. Dennoch oder gerade deshalb stellt er fest: „Durch das Internet vollzieht sich gerade ein riesiger Wandel in der Gesellschaft. Darüber wollen wir ernsthaft debattieren, Lifestyle gibt es schon genug.“ Höly wird in diesem Jahr 30, hat Online-Journalismus studiert, bloggt für sein Leben gern und leitet die Redaktion des Onlinemagazins „Juiced“. Als Verleger beschreitet er Wege, die früher nicht möglich waren. So hat er die Shift-Nullnummer 2013 über Crowdfunding finanziert, auch einen Großteil der Kosten für die Erstausgabe wurden durch 12.000 Euro gedeckt, die durch online geworbene Spenden zusammenkamen.

Unbenannt-2Für alle, die befürchten, dass die Digital Natives papierallergisch und als künftige Verleger verloren sind, ist Höly ein Hoffnungsträger. Gleichwohl nicht der einzige auf weiter Flur. Immer wieder versuchen sich Gründer, ob nun digital geprägt oder analog sozialisiert, abseits der Großverlage an Magazinideen. So hob Peter „Bulo“ Böhling vor zehn Jahren Clap aus der Taufe, so etwas wie eine kleine Bunte für Medienmacher. Jetzt folgt Bock, angekündigt als „Gagazin für alle, die Lust auf geilen Scheiß haben“. Oder nehmen wir Muh, das im oberbayerischen Truchlachting entsteht: Vierteljährlich berichtet das Magazin über bayerisches Wesen und Unwesen, die Macher um Redaktionsleiter Josef Winkler und Geschäftsführerin Nicole Kling haben gerade den fünften Muh-Geburtstag, 20 veröffentlichte Ausgaben und 2000 Seiten gefeiert. Weit über eine Region hinaus blickt hingegen die Mittzwanzigerin Ricarda Messner mit ihrem Flaneur Magazin, das im Juni 2013 debütierte und seither konsequent mehr oder weniger berühmte Straßen dieser Welt zum thematischen Zentrum der einzelnen Ausgaben macht.

Solche Titel werden als „Independents“ bezeichnet: Zeitschriften, hinter denen keine großen Verlage stehen, sondern meist Blattmacher und Medienschaffende, die von einer Idee beseelt sind und sie mit geringsten Mitteln zum Fliegen bringen wollen. Auch weil sie von der Norm abweichen und so anders sind, verspielter, kreativer, überraschender, hagelt es häufig Komplimente, manchmal gar gelddotierte Preise. Doch Lob allein macht nicht satt, weshalb viele Selbstverleger kommerziell hart kämpfen müssen. So ging es auch Josephine Götz (siehe Impresso 2/2013). Sie hatte, ähnlich wie Daniel Höly, während ihres Studiums das Konzept für eine Zeitschrift entwickelt. Päng – Untertitel: „Für die Wirklichkeit gibt es keinen Ersatz“ – überlebte fünf Ausgaben lang.

Kleinverleger müssen sich um fast alles kümmern

Götz ist keine Traumtänzerin, aber Überzeugungstäterin. Zweifel wurden erstmal suspendiert: „Mir hätten die Leute sonst was erzählen können, ich hätte es trotzdem gemacht“, sagt sie im Rückblick über ihre Zeit als Zeitschriftenmacherin. Wirtschaftlich hat sich das Magazin nicht getragen, nun liegt es auf Eis, eine Wiederbelebung ist unwahrscheinlich. Götz sagt, sie bereue ihr verlegerisches Abenteuer nicht. „Diese Erfahrung und Energie, diese wahnwitzige Zeit kann mir keiner nehmen.“

artikel_paengcover_2016Sich um alles zu kümmern, also das Geschäft führen, das Blatt machen, den Vertrieb organisieren, die Anzeigen verkaufen – das war Götzens Alltag, und das ist typisch für solche Herzblutprojekte. Bei den Großen mitspielen und eigentlich keine Chance zu haben, so wie das – um einen Vergleich aus dem Sport zu bemühen – in der Fußball-Bundesliga gerade die Davids aus Darmstadt geschafft haben: Das sind Geschichten, die man gerne liest. Und es gibt ja auch Vorbilder unter Magazinmachern, wie Gründer und kleine Verleger erfolgreich sein können, zum Beispiel Gabriele Fischer mit Brand eins und Philipp Köster mit 11 Freunde.

Laut den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts für 2013 erwirtschafteten Zeitungs- und Zeitschriftenverlage in Deutschland einen Jahresumsatz von insgesamt 19,6 Milliarden Euro. Rund 140.000 Menschen sind in den 3200 Unternehmen beschäftigt, ein Drittel davon gehört zu den Kleinstverlagen mit einem Umsatz von höchstens 250.000 Euro. Nimmt man jene Medienunternehmen hinzu, die sich auf Bücher, Software/Computerspiele oder Verzeichnismedien konzentrieren, errechnet sich für das gesamte Verlagsgewerbe ein Umsatz von 2,9 Milliarden Euro. Firmen mit bis zu neun Beschäftigten stellen 71 Prozent aller Verlage, auf sie entfallen jedoch nur neun Prozent aller Einnahmen. Das unterstreicht, wie kleinteilig und differenziert die Branche aufgestellt ist.

Ein Blick auf die Nicht-mehr-ganz-Indies lohnt sich ebenfalls

Dabei lohnt ein Blick auf jene Verlage, die nicht (mehr) „Indie“ sind, aber auch (noch) nicht zu den Großen zählen. Auf einen wie Reinhard Knittler zum Beispiel. Der gelernte Verlagskaufmann war viele Jahre lang mit eigenem Verlagsbüro als Medienvertretung tätig. Er wusste, wie das Geschäft und die Vermarktung funktionieren, wie einzelne Branchen und ihre Entscheider ticken. So entstand und verfestigte sich sein Wunsch, den Schritt vom beauftragten Medienvermarkter zum selbstständigen Verleger zu tun. Vor mittlerweile 18 Jahren gründete Knittler die Fachzeitschrift Reinigungsmarkt, die bis heute stärkste Säule seiner Knittler Medien GmbH.

Als Branchenkenner konnte er damals schon einschätzen, dass er sich auf fruchtbarem Boden bewegt: Der Markt würde wachsen, der Kommunikationsbedarf ebenso. Knittlers Fachmagazin, das heute zehn Mal im Jahr erscheint, fand schnell Resonanz bei Lesern und Anzeigenkunden. Durchaus hilfreich kam hinzu, dass der Reinigungsmarkt offizielles Organ der ISSA im deutschsprachigen Raum wurde. Die ISSA repräsentiert als weltweit führender Verband mehr als 7000 Hersteller und Handelsfirmen der Reinigungsindustrie und ist Mitausrichter der führenden Branchenmessen.

Die Reinigungsbranche hat sich kräftig entwickelt und ist mit rund 33.000 Betrieben heute ebenso zahlreich vertreten wie Kfz-Werkstätten. Zudem haben Anbieter ihr Geschäft ausgedehnt, ursprünglich als Reinigungsdienste gestartete Firmen sind heute im Catering, in der Landschaftspflege, im Post- und Sicherheitsdienst aktiv. „Dadurch sind Zielgruppe und Marktpotenzial größer geworden, ebenso das Themenspektrum, das wir redaktionell bedienen“, sagt Reinhard Knittler. Für das laufende Jahr rechnet er erneut mit einem Umsatzzuwachs auf dann 1,6 Millionen Euro bei derzeit einem Dutzend Mitarbeitern.

Dabei macht Knittler nicht vor geographischen Grenzen halt. Reinigungsmarkt erschien einige Jahre lang auch in russischer und chinesischer Sprache. 2008 startete eine eigene Ausgabe in Österreich, ein Jahr später begann der Verlag, zu den internationalen Fachmessen in der jeweiligen Landessprache zu publizieren. Also sind Reinigungsmarkt-Sonderausgaben inzwischen mehrfach auf Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch und bislang einmal auf Türkisch erschienen.

Expandieren ohne zu große Risiken einzugehen

artikel_ergonomiemarkt_2016Wollen kleine und mittlere Verlage expandieren, so müssen sie Chancen nutzen, ohne dabei allzu fahrlässig Risiken einzugehen. Knittler beweist darin Geschick, er hat stets die rechte Balance gefunden. So gibt sein Verlag seit 2008 das Ausbildungsmagazin Der Gebäudereiniger heraus, es erscheint vier Mal im Jahr mit je 4000 gedruckten Exemplaren; vor vier Jahren kam Ergonomie Markt hinzu, eine zweimonatliche Fachzeitschrift für den Arbeitsschutzhandel und Top-Entscheider aus Industrie, Wirtschaft und Verwaltung. Auch hier kooperiert Knittler mit einem Verband, dem Ergonomie und Kompetenz Netzwerk (ecn), in dem führende Professoren und Lehrstuhlinhaber des Fachgebiets zusammengeschlossen sind. Ergonomie Markt (Druckauflage: 7000) ist das offizielle Organ des ecn.

Wachstum aus reinem Selbstzweck, das reizt Knittler nicht. Aber: „Wir bewegen uns noch in einer kritischen Größe. Wenn zum Beispiel mal ein Redakteur länger ausfällt, kann es eng werden“, sagt er. Ein typisches Problem in kleinen, spezialisierten Verlagen – hier sind die Ressourcen begrenzt und die Kompetenzen nicht einfach multiplizierbar. Knittler wünscht sich, sechs statt vier Redakteure im Haus zu haben, um flexibler zu sein. Das heißt: Ein weiterer Titel würde gut ins verlegerische Konzept passen.

Hinzukommt, dass auch in seinen Märkten die Digitalisierung drängt und treibt. „Heute müssen sich Verlage so aufstellen, dass sie ihre Leser dort erreichen, wo sie gerade stehen. Deshalb arbeiten wir daran, unsere Kommunikationskanäle, von Print über die Homepage bis zu Facebook und Twitter, noch stärker zu verknüpfen“, erläutert Knittler. Gute Erfahrungen hat er mit den für ihre Bezieher kostenlosen „Flash-News“ gemacht. Im Durchschnitt ein- bis zweimal pro Woche erscheint dieser Newsletter, der eine Top-Nachricht aus der Branche meldet und die Hintergründe dazu beleuchtet. „Das Format kommt richtig gut an“, sagt Knittler. Die Zahl der Abonnenten hat sich binnen eines Jahres auf rund 3400 verdoppelt, finanziert wird das Ganze durch rund ein Dutzend Werbebanner auf dem Newsletter. „Die Logoplätze sind gefragt bei Anzeigenkunden, vor allem wegen der hohen Öffnungsraten von 30 bis 40 Prozent“, berichtet der Verleger. Allein der Newsletter bringt somit einen Werbeumsatz von 60.000 bis 70.000 Euro.

Kooperationen unter kleinen Verlagen zahlen sich aus

Reinhard Knittler wirkt mit seinen 61 Jahren umtriebig wie eh und je. Wenn er sich doch irgendwann aus der ersten Reihe zurückziehen wird, steht Sohn Daniel bereit, der schon jetzt als Co-Geschäftsführer agiert. Gemeinsam schmieden sie Pläne für die Zukunft: Erst kürzlich haben sie ein neues Content-Management-System erworben, das helfen soll, Paid-Content-Angebote zu schaffen. Das Event- und Seminargeschäft biete ebenfalls Perspektiven.

Auch für Kooperationen ist der Verlag weiterhin aufgeschlossen. Siehe da: Bei einer Veranstaltung hat Reinhard Knittler zufällig Daniel Höly kennengelernt, den Shift-Macher. Sie kamen ins Gespräch und stellten fest, dass sie mit Blick auf junge Zielgruppen durchaus verbindende Interessen haben. Kann gut sein, dass der erfahrene Fachverleger und der junge Kleinverleger demnächst gemeinsame Sache machen.