Seine Zeitschriften fallen auf: Sie haben Übergewicht, sind bunt im besten Sinne und ziemlich unberechenbar. Von Routinen und Regeln lässt sich Ramp-Erfinder Michael Köckritz nicht aufhalten. Wahrscheinlich stapeln sich deshalb schon so viele Auszeichnungen in seinem Büro. Und Deutschlands Verleger geben sich dort die Klinke in die Hand.

Von Roland Karle

Wieder mal so ein rastloser Tag. Mit vielen Konferenzen und Telefonaten. Hier ein „Michael, könntest du mal…“ und dort ein „Ist der Herr Köckritz zu sprechen?“. Jetzt naht der Feierabend. Noch ein paar Sekunden mit dem Lift in die Tiefgarage. Und dann folgt Runterfahren durch Autofahren.

Eine Fähigkeit, die Michael Köckritz beherrscht. Wenn er am Steuer seines Porsche 911 sitzt, kann er gut entspannen. Der Weg von seiner Firma in Reutlingen, stadtzentral gelegen und sich über zwei Stockwerke Im Alten Wasserwerk erstreckend, nach Hause ins rund 15 Kilometer entfernte Tübingen ist dazu gerade weit genug.

Doch an diesem Dezemberabend will das Abschalten nicht recht gelingen. Die Anstrengungen der letzten 14 Stunden haben sich mit in den Wagen geschlichen. Draußen schrillt Tatütata, drinnen nervt Trallala. Bis der Fahrer den Knopf drückt. Radio aus. Ruhe kehrt ein. Köckritz genießt.

Doch wo andere mit ihren Gedanken danach im Nirgendwo versinken, flammen bei ihm Geistesblitze auf. So entsteht aus einem glimmenden Gedanken die nächste Idee. Sie lernt laufen und wird schließlich zu einer richtig runden Sache: „Chillen im Stillen“ heißt die CD, die gerade als Hörbuch bei Lübbe Audio erschienen ist. Man hört darauf zum Beispiel Bild-Chefredakteur Kai Diekmann beim Blättern der Zeitung, Schauspieler Sky du Mont, wie er in seinem Lieblingssessel sitzt, die Moderatorin Bärbel Schäfer kurz vor einer Sendung, die Sterneköche Tim Raue und Johann Lafer stumm in der Küche.

Verlegers und Chefredakteurs Michael Köckritz

Verlegers und Chefredakteurs Michael Köckritz

Stille aufnehmen, Ruhe vertonen, das Schweigen interviewen – darauf muss man erst einmal kommen. Michael Köckritz ist einer, der um die Ecke denkt. Der aus dem Nichts ein Etwas erschafft. Der die Regel bestätigt, indem er die Ausnahme findet. So hat er es auch zum Verleger gebracht. Wobei der entscheidende Schritt, tatsächlich eine Zeitschrift zu gründen, auch dem Umstand zu verdanken ist, dass sich der dreifache Vater diszipliniert an die familiäre Aufgabenteilung hält und morgens den Nachwuchs in den Kindergarten bringt. Dort trifft er Christian Gläsel, einen Tübinger Unternehmer und Autoliebhaber. Im Sommer 2007, als die beiden Väter mal wieder darüber plaudern, wie ein Magazin aus ihrer Brut aussähe, kommt es zum Schwur. Der Verlag Red Indians Publishing ist nun nur noch ein paar Gespräche und einen Business-Plan weit entfernt.

Nicht, dass es Köckritz bis dahin langweilig gewesen wäre oder er geschäftlich unter Veränderungsdruck gestanden hätte. Im Gegenteil. Seine zusammen mit Berthold Dörrich 1998 gestartete Agentur Köckritzdörrich hat sich als Full-Service-Dienstleister für integrierte Markenkommunikation erfolgreich in Position gebracht. Es gibt genug zu tun. Rund 30 Mitarbeiter, namhafte Kunden und spannende Projekte wollen geführt und bedient werden. Doch in Michael Köckritz lodert die Lust des publizistischen Abenteurers. Als Macher von Kundenzeitschriften ist er in der Branche bereits aufgefallen. Besondere Kennzeichen: Der Mann liefert nicht gerne von der Stange. Er liebt das Originelle, Unikate, das Anderssein.

Wie er sich wohl als Orthopäde und Sportarzt geschlagen hätte? Keine abwegige Frage, schließlich studierte Köckritz Medizin und stand kurz vor der Facharztausbildung. Noch rechtzeitig entdeckte er dann aber seine Lust für Journalismus und Werbung, wurde freier Autor und Fotograf, später sogar Marketing- und Kommunikationschef und Mitherausgeber des Lifestyle-Titels Autofocus.

Kein Zufall also, dass der Erstgeborene seines Verlags Ramp heißt und ein Automagazin ist. Nach vier Ausgaben, so lautet damals die Planung, wird Zwischenbilanz gezogen. Köckritz und Gläsel, gestandene Geschäftsleute und Jungverleger zugleich, sind sich einig: Red Indians Publishing soll ein Experimentierfeld für Medien werden und im besten Fall den Nachweis führen, dass der Erfolg eines Verlags nicht an herkömmliche Muster gebunden ist. Die Wette gilt. Sie setzen ein Kapital von geschätzt 250.000 Euro, unternehmerische Erfahrung, ein dichtes Netzwerk und große Leidenschaft ein.

Seit dem Start von Red Indians Publishing haben sich die Aussichten für gedruckte Medien eher verdüstert. Den Häuptling der roten Indianer stört das nicht. Es treibt ihn eher noch mehr an. In seinem geräumigen Büro stapeln sich Zeitschriften und Bücher. Wenn Köckritz vom Blattmachen erzählt, stürmt er mal in diese, mal in jene Ecke und schafft Beweismaterial heran. Print lebt: Zeitschriften leuchten im Dunkeln, wie Ramp Nummer zwei. Und sie riechen, wie Heft sieben, das mit Sonnencremeduft ausgeliefert wurde.

Solche Extravaganzen sind der besonderen Haptik geschuldet, ebenso wie das kräftige Papier, die Lackveredelung und auch die katalogstarke Präsenz. Zwischen 250 und 350 Seiten umfasst eine Ausgabe. Das führt unweigerlich zu Übergewicht. So dicke Dinger fallen auf im Zeitschriftenregal. „Die Fülle gibt dem Magazin eine gewisse Substanz und Körperlichkeit“, sagt Köckritz. „Die Welt wird immer virtueller und wir kommunizieren zunehmend digital. Da kann Print einen Kontrapunkt setzen, denn Menschen wollen Dinge anfassen und spüren. Deshalb bin ich überzeugt  davon, dass Gedrucktes eine Zukunft hat.“

Fünf Jahre nach der Erstausgabe von Ramp darf sich Köckritz darin bestätigt sehen. Nummer 20 ist gerade in Arbeit, die Frequenz wird ab 2013 von vier auf sechs Ausgaben im Jahr erhöht. Und die Familie wächst: Das im September 2011 gestartete Männermagazin Rampstyle erscheint künftig vier- statt zweimal jährlich. Außerdem wird im Herbst zur Internationalen Automobilausstellung (IAA) Ramp Design auf den Markt kommen. Macht in Summe elf Mal Ramp im Jahr. Daneben gibt es seit 2010 auch noch Capz, das  Reisekulturmagazin.

Red Indians war mal eine Idee von zwei Wagemutigen – und ist heute ein Verlag mit elf Beschäftigten, drei verschiedenen Titeln und etlichen Trophäen in der Vitrine. Kaum geboren, wurde Ramp mit dem deutschen Zeitschriften-Oscar ausgezeichnet. Bei den Lead Awards 2008 ließ der Neuling in der Kategorie „Auto“ all die Etablierten wie Auto Motor und Sport, Auto Bild, Auto Zeitung, Auto Focus hinter sich. Für seine Arbeit als Creative Director und Chefredakteur hat Michael Köckritz allein in den letzten vier Jahren rund 60 Auszeichnungen und Preise erhalten.

Was macht der junggebliebene 56-Jähriger anders als andere? „Am Ende geht es immer darum, gute Geschichten zu erzählen und dabei die reizvollsten Formen zu finden, um Inhalte in attraktiven, spannenden Zusammenhängen zu transportieren. Wer Storytelling beherrscht, wird sein Publikum erreichen.“ Köckritz ist ein außergewöhnlich begabter Geschichtenerzähler. Das sieht auch Helmut Ortner so. Der Verlagsberater und Printentwickler (Cicero, Focus) hat Ramp in einer Blattkritik geadelt. Die Lektüre sei wie eine Tour von null auf hundert. Originär, leidenschaftlich, verführerisch, überschwänglich – opulent und unaufgeregt zugleich. „Alles ist drin: nutzwertige Themen, spannende Reportagen und kurzweilige Interviews. Dazu überraschende Fotoinszenierungen, die das Auto mal zeigen, wie man es noch nicht hundert Mal gesehen hat. Und ein Typokonzept mit Mut. Alle, die hier Hand anlegen, verstehen ihr Handwerk. Heraus kommt Lesespaß mit Erkenntniswert. Mehr geht nicht.“

Dieser Hymne stehen rund 5000 Abos gegenüber. Auch wenn ein Heft 15 Euro kostet – die  Vertriebserlöse allein machen nicht satt. Umso bemerkenswerter: „Wenn eine Ausgabe an den Kiosk kommt, sind die Kosten bereits durch Werbeeinnahmen gedeckt“, berichtet der Verleger und Chefredakteur. Ein Großteil der Anzeigenkunden sind Autofirmen, branchenübergreifend flankiert von Premiummarken wie Boss, Breitling, Christ, Joop, Loewe, Strellson. Sie können sicher sein, dass die verbreitete Auflage von 40.000 Stück über Kooperationen und kontrollierte Adressverteilung in der richtigen Zielgruppe landet.

Auch die kritischen Mediaagenturen haben Ramp und seine Geschwister wahrgenommen. Überwiegend wohlwollend. Sie wertschätzen die Andersartigkeit der Red-Indians-Zeitschriften. „Das Automobil wird im Kontext von Musik und Mode, Kultur und Lebensart regelrecht inszeniert“, sagt Olivier Korte, Media Director bei Zenithmedia. „Durch die spitze Positionierung ist der Werbeträger interessant für eine Vielzahl von hochwertigen Produkten.“

Köckritz erlaubt sich sogar den Luxus, Anzeigen abzulehnen. Das sei bislang zwar nicht oft vorgekommen, aber die Haltung ist klar: „Marke und Medium müssen zusammenpassen. Dann sind sie glaubwürdig und wirken auf Leser“, sagt der Verlagschef. Fast folgerichtig hat er neben der klassischen Anzeige ein Format wie „Creative Space“ geschaffen. Die Idee ist so simpel wie ungewöhnlich: Ein Unternehmen bezahlt dafür, dass Red Indians „mit der Marke spielt“ und das entsprechende Produkt im Heft inszeniert. Der Kunde mischt sich nicht ein.  So ist beispielsweise ein Comic entstanden, in dem die A-Klasse von Mercedes mitspielte, oder die Geschichte eines Modeshootings, in die ein Seat-Fahrzeug verwoben wurde. „Marken suchen nach neuen Wegen der Kommunikation“, sagt Köckritz, „und wir sind für sie wie ein Versuchslabor“.

Was in Reutlingen passiert, wird auch im Rest der Medienrepublik aufmerksam beobachtet. Dass Michael Köckritz erfolgreich gegen Routinen und Regeln verstößt, ist Deutschlands Verlegern nicht entgangen. Also suchen sie das Gespräch mit dem Ramp-Erfinder und hoffen auf Ratschläge, Rezepte, Referenzen. Sie wollen dadurch ihr lahmendes Geschäft wieder in Gang bringen. Als ob es so einfach wäre.

„Wir sind nahezu frei von Zwängen und können schnell  entscheiden. Das ist ein Vorteil gegenüber traditionellen Medienunternehmen. Viele von ihnen sehen in uns einen stilbildenden Musterverlag“, erzählt Köckritz nicht ohne Stolz. Dabei will er auf keinen Fall den Besserwisser geben. Verlage und Marken engagieren ihn als Berater und als externe Entwicklungsabteilung. Vielleicht wird bald noch mehr daraus. Von enger Kooperation bis zu einer Beteiligung an Red Indians scheint vieles für die Verlage reizvoll. Zu beiderseitigem Nutzen, wenn Köckritz & Co. dadurch eine größere Hebelwirkung bekommen und die Verlage ihre dringend nötigen Kreativspritzen.

Eines allerdings wird der Medienmacher nicht hergeben: seine Unabhängigkeit. Sie garantiert ihm jenes Maß an Freiheit, permanent Neues zu probieren. Sechs Heftkonzepte liegen in der Schublade. Unter anderem das Frauenmagazin Weiberkram, das eigentlich noch in diesem Jahr kommen sollte – und sogar schon fertig produziert ist. „Ich hätte es gerne gebracht, aber wir müssen mit unseren Ressourcen haushalten“, sagt Köckritz und beugt sich somit der wirtschaftlichen Vernunft.

Gegen zu viel Sturm und Drang könnte ein Waldspaziergang mit Ehefrau Sabine und den Kindern Tim (12), Kaja (10) und Nele (9) helfen. Oder ein Besuch beim Holz hackenden Schriftsteller Wladimir Kaminer. Oder ein Mikrofon im Kühlschrank. Wichtig dabei ist nur, die Ruhe zu bewahren. Dann werden wieder wunderbar leise Geräusche entstehen. Michael Köckritz hat das alles schon ausprobiert. Für „Chillen im Stillen“.

Erschienen in impresso 4/2012